Die Kommissionierung ist ein unverzichtbarer Bestandteil moderner Lager- und Distributionsprozesse. Sie bildet das Bindeglied zwischen Lagerhaltung und Versand und hat damit eine Schlüsselrolle in der Intralogistik. Durch das zunehmende Wachstum des E-Commerce, den steigenden Anspruch auf kurze Lieferzeiten und die Individualisierung der Kundenaufträge gewinnt die Kommissionierung immer mehr an Bedeutung. Unternehmen stehen dabei vor der Herausforderung, einerseits hochflexibel auf wechselnde Kundenwünsche zu reagieren und andererseits maximale Effizienz zu gewährleisten. Dieser Leitfaden bietet einen umfassenden Überblick über alle relevanten Aspekte der Kommissionierung – von Grundlagen über Verfahren bis hin zu modernen Technologien und Optimierungsstrategien.
Definition und Bedeutung
Unter Kommissionierung versteht man das bedarfsgerechte Zusammenstellen von Waren aus einem Lagerbestand, um bestimmte Kundenaufträge oder Produktionsaufträge zu erfüllen. Diese Tätigkeit umfasst alle Prozessschritte vom Erhalt der Kommissionieraufträge über das Picken der Artikel bis hin zur Übergabe an den Versand. Die Relevanz der Kommissionierung liegt nicht nur in der operativen Abwicklung von Bestellungen, sondern auch in ihrer strategischen Bedeutung für den gesamten Supply-Chain-Prozess. Eine effizient organisierte Kommissionierung verkürzt Lieferzeiten, senkt Kosten und verbessert die Kundenzufriedenheit.
Kommissionierung kann entweder auftragsbezogen (einstufig) erfolgen, bei der jeder Kundenauftrag separat bearbeitet wird, oder artikelorientiert (mehrstufig), bei der gleiche Artikel für mehrere Aufträge gleichzeitig gepickt und anschließend sortiert werden. Während die einstufige Kommissionierung vor allem in kleineren Lägern mit geringerem Auftragsvolumen üblich ist, wird die mehrstufige Kommissionierung häufig in großen Distributionszentren mit tausenden Kleinaufträgen eingesetzt.
Einstufige und mehrstufige Kommissionierung
Die einstufige Kommissionierung ist die klassische Form des Pickens. Der Kommissionierer bearbeitet einen Auftrag von Anfang bis Ende, wobei er alle benötigten Artikel nacheinander sammelt. Dieses Verfahren ist besonders einfach in der Organisation und bietet eine klare Auftragszuordnung, sodass keine nachträgliche Sortierung notwendig ist. Allerdings ist der Aufwand pro Auftrag relativ hoch, insbesondere wenn die Laufwege durch das Lager lang sind. Daher eignet sich die einstufige Kommissionierung eher für Lager mit überschaubarem Sortiment oder geringer Auftragsdichte; gegebenenfalls dann auch ohne Systemunterstützung.
Im Gegensatz dazu steht die mehrstufige Kommissionierung, auch Batch-Kommissionierung genannt. Hierbei werden mehrere Kundenaufträge gebündelt und in einer ersten Stufe artikelweise kommissioniert. Erst in einer zweiten Stufe werden die Artikel den einzelnen Aufträgen zugeordnet. Dieses Verfahren reduziert die Wegezeiten erheblich, da jeder Lagerplatz nur einmal angelaufen wird, unabhängig davon, wie viele Aufträge den jeweiligen Artikel benötigen. Der Sortieraufwand wird meist durch automatische Sorter übernommen, was die Effizienz weiter steigert. Mehrstufige Verfahren sind besonders vorteilhaft, wenn ein Unternehmen sehr viele Aufträge mit nur wenigen Positionen pro Auftrag abwickelt, wie es beispielsweise im Versandhandel üblich ist.
Auftragsorientierte Kommissionierung: seriell und parallel
Innerhalb der einstufigen Kommissionierung gibt es verschiedene organisatorische Ansätze. Bei der seriellen Kommissionierung wird ein Auftrag von einem Kommissionierer oder mehreren Mitarbeitern in verschiedenen Zonen nacheinander abgearbeitet. Dies hat den Vorteil, dass jeder Mitarbeiter nur für einen bestimmten Bereich zuständig ist und die Wege innerhalb seiner Zone minimiert werden. Nachteilig ist jedoch, dass der Auftrag an Übergabestellen zwischengelagert werden muss, was zu Verzögerungen führen kann.
Die parallele Kommissionierung hingegen teilt einen Auftrag auf mehrere Zonen auf, die gleichzeitig bearbeitet werden. Sobald alle Teilaufträge fertiggestellt sind, werden die Artikel an einer Konsolidierungsstelle zusammengeführt. Dieses Verfahren verkürzt die Durchlaufzeit pro Auftrag erheblich, erfordert jedoch eine präzise Koordination durch ein Warehouse-Management-System und eine zusätzliche Konsolidierungsstufe.
Kommissionierverfahren und moderne Technologien
Traditionell erfolgt die Kommissionierung anhand von Picklisten auf Papier, doch zunehmend setzen Unternehmen auf beleglose Verfahren, um Zeit zu sparen und Fehler zu reduzieren. Moderne Pick-by-Systeme wie Pick-by-Voice, Pick-by-Light oder Pick-by-Scan führen den Kommissionierer digital durch den Prozess. Bei Pick-by-Voice erhält der Mitarbeiter alle Anweisungen über ein Headset und bestätigt die Entnahmen per Sprachbefehl, wodurch beide Hände frei bleiben. Pick-by-Light hingegen zeigt direkt am Lagerplatz mittels LED-Signal an, welche Artikel entnommen werden müssen. Pick-by-Scan und mobile Datenerfassungsgeräte ersetzen den klassischen Papierzettel durch ein Display, das die Aufträge dynamisch darstellt und in Echtzeit mit dem Lagerverwaltungssystem kommuniziert.
Noch innovativer sind Pick-by-Vision-Systeme, die den Kommissionierer mit einer AR-Datenbrille durch das Lager leiten. Dabei werden relevante Informationen direkt ins Sichtfeld eingeblendet, etwa die genaue Position des Artikels oder die benötigte Menge. Erste Unternehmen setzen sogar auf Roboter, die eigenständig Artikel aus Regalen entnehmen und zu einer Sammelstation bringen. Diese Automatisierung, bekannt als Pick-by-Robot, ist besonders dort interessant, wo monotone und körperlich anstrengende Aufgaben automatisiert werden können.
Bereitstellungsarten: Mann-zur-Ware und Ware-zum-Mann
Ein grundlegendes Kriterium in der Kommissionierung ist die Frage, ob der Mitarbeiter zur Ware geht oder die Ware zum Mitarbeiter kommt. Bei der Mann-zur-Ware-Kommissionierung bewegt sich der Kommissionierer durch das Lager und sammelt die benötigten Artikel ein. Dieses Verfahren ist flexibel und erfordert nur geringe Investitionen in Technik, ist jedoch mit hohen Laufwegen verbunden. Besonders in großen Lagern kann dies zu einem erheblichen Zeitfaktor werden.
Die Ware-zum-Mann-Kommissionierung verfolgt das umgekehrte Prinzip. Hier wird die benötigte Ware automatisch an einen zentralen Kommissionierplatz gebracht, an dem der Mitarbeiter die Artikel entnimmt. Dies geschieht häufig über Förderanlagen, Shuttles oder automatische Kleinteilelager. Dieses Verfahren reduziert die körperliche Belastung und steigert die Produktivität, erfordert jedoch hohe Investitionskosten und eine zuverlässige Fördertechnik.
Prozessschritte der Kommissionierung nach VDI
Nach der VDI-Richtlinie 3590 Blatt 1 besteht der Kommissionierprozess aus mehreren aufeinanderfolgenden Schritten, die von der Auftragserstellung bis zur finalen Abgabe reichen. Zunächst werden die Kommissionieraufträge generiert und an den Kommissionierer übermittelt, entweder elektronisch oder in Papierform. Anschließend erfolgt der Transport der Ware zum Bereitstellungsort oder der Gang des Kommissionierers zum Lagerplatz. Die eigentliche Entnahme wird durch eine Quittierung bestätigt, die gleichzeitig einen Bestandsabgleich im Lagerverwaltungssystem auslöst. Danach werden die kommissionierten Artikel an die Abgabestelle transportiert, wo sie je nach Verfahren direkt verpackt oder sortiert werden.
Die genaue Ausgestaltung dieser Schritte hängt stark von der Aufbau- und Ablauforganisation des Lagers ab. Faktoren wie die Lagerstruktur, die Art der Artikel (z. B. Gefahrgut oder temperatursensible Waren) und die eingesetzte Technik spielen hier eine entscheidende Rolle.
Kommissionierzeit und Wegeoptimierung
Die Kommissionierzeit setzt sich aus mehreren Teilzeiten zusammen, darunter Basiszeit, Greifzeit, Totzeit und Wegzeit. Besonders die Wegzeit ist ein entscheidender Faktor, da Kommissionierer in einem durchschnittlichen Lager oft mehrere Kilometer pro Tag zurücklegen. Daher ist die Wegeoptimierung respektive Rundgangsbildung ein zentrales Thema in der Logistik. Ziel ist es, den Laufweg so kurz wie möglich zu gestalten, indem Lagerplätze sinnvoll angeordnet und Pickrouten optimiert werden.
Ein klassisches mathematisches Problem in diesem Zusammenhang ist das „Traveling Salesman Problem“. Es beschreibt die Herausforderung, eine Route zu finden, die alle Pickorte mit minimalem Zeit- oder Wegaufwand verbindet. Moderne Lagerverwaltungssysteme nutzen Algorithmen, um dieses Problem dynamisch zu lösen und die effizienteste Route zu berechnen. Ergänzend werden Artikel mit hoher Umschlagshäufigkeit bevorzugt in den vorderen Bereichen des Lagers platziert, während selten benötigte Artikel weiter hinten gelagert werden.
Batchbildung und Multi-Order-Picking
Die Batchbildung ist eine der wirksamsten Strategien zur Effizienzsteigerung. Hierbei werden mehrere Kundenaufträge zusammengefasst und in einem einzigen Rundgang kommissioniert. Statt jeden Auftrag einzeln abzuarbeiten, pickt der Kommissionierer eine größere Menge eines Artikels und teilt sie anschließend auf die jeweiligen Aufträge auf. Dieser Ansatz reduziert die Anzahl der Wege erheblich und steigert die Pickleistung. In Verbindung mit Sortieranlagen oder intelligenten Softwarelösungen lässt sich das Verfahren weiter automatisieren und beschleunigen.
Kennzahlen und Leistungsindikatoren bei der Kommissionierung
Zur Bewertung der Effizienz eines Kommissionierungsprozesses werden verschiedene Kennzahlen herangezogen:
- Kommissionier-Wegzeit: Die durchschnittliche Zeit, die benötigt wird, um einen Auftrag vollständig zusammenzustellen.
- Pickleistung: Anzahl der Artikel oder Aufträge, die pro Zeiteinheit erfolgreich kommissioniert werden.
- Fehlerquote: Anteil fehlerhaft zusammengestellter Aufträge.
- Durchlaufzeit: Gesamtdauer vom Auftragseingang bis zur Fertigstellung.
Diese Indikatoren helfen bei der Identifikation von Verbesserungspotenzialen und bei der Steuerung der Prozesse.
Unterschiedliche Kommissionierung in unterschiedlichen Branchen
In der Praxis setzen Unternehmen auf unterschiedliche Strategien, abhängig von Branche und Auftragsstruktur. Amazon nutzt beispielsweise eine Kombination aus Robotik, Pick-to-Light-Systemen und Batch-Kommissionierung, um Millionen von Bestellungen täglich zu verarbeiten. In der Automobilindustrie ist die sequenzgenaue Kommissionierung nach dem Just-in-Time-Prinzip verbreitet, bei der Bauteile exakt in der Reihenfolge bereitgestellt werden, in der sie in der Produktion benötigt werden. Pharmagroßhändler wiederum arbeiten häufig mit hochautomatisierten Kleinteilelagern und Sortiersystemen, um die Vielzahl kleiner Bestellungen schnell abwickeln zu können.
Fazit und Ausblick
Die Kommissionierung ist ein komplexes Zusammenspiel aus Prozessen, Technologien und Organisation. Sie entscheidet maßgeblich über die Leistungsfähigkeit eines Lagers und damit über die Wettbewerbsfähigkeit eines Unternehmens. Während klassische Verfahren wie die einstufige, auftragsorientierte Kommissionierung in kleinen Strukturen weiterhin sinnvoll sind, setzen große Logistikzentren zunehmend auf mehrstufige, automatisierte Lösungen.
Die Digitalisierung verändert die Kommissionierung grundlegend. Roboter übernehmen zunehmend Pickaufgaben, etwa bei standardisierten Kleinteilen. Gleichzeitig halten KI und maschinelles Lernen Einzug in die Intralogistik. Sie helfen bei der Prognose von Beständen, der Optimierung von Routen oder der dynamischen Steuerung von Batchprozessen.
Die Zukunft der Kommissionierung wird von Automatisierung, Digitalisierung und künstlicher Intelligenz geprägt sein. Vollautomatisierte Lager, in denen Roboter und fahrerlose Transportsysteme eigenständig Aufträge abwickeln, werden weiter an Bedeutung gewinnen. Gleichzeitig werden flexible Lösungen gefragt sein, die sowohl kleine als auch große Auftragsmengen effizient verarbeiten können. Augmented Reality, Robotik und Predictive Analytics sind hier nur der Anfang. Auch Nachhaltigkeit wird künftig eine Rolle spielen, etwa durch energieeffiziente Systeme oder eine optimierte Lagerlogistik zur Vermeidung unnötiger Transporte.